Deutschland - eine Klassengesellschaft

Deutschland ist eine Klassengesellschaft. Die Produktion von Waren und Dienstleistungen findet überwiegend in privaten Unternehmen mit dem Ziel statt, möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Die große Mehrheit der Erwerbstätigen arbeitet als abhängig Beschäftigte. Sie erhalten nur einen Teil der von ihnen geschaffenen Werte als Lohn, den Überschuss eignen sich die Kapitaleigner an. Diese bestimmen über seine Verwendung, über die Investitionen und somit über die wirtschaftliche Entwicklung und die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten. Die wirtschaftliche und die gesellschaftliche Entwicklung werden ebenso wie das Staatshandeln und die Politik entscheidend von den Interessen des Kapitals bestimmt. Die Lebens- und Bildungschancen der Menschen hängen in hohem Maße von ihrer Klassenlage und sozialen Herkunft ab.

Die Struktur der Arbeiterklasse hat sich im Laufe der Entwicklung erheblich verändert. Der Anteil der Beschäftigten in der Industrie und den großen Unternehmen sinkt, immer mehr Menschen arbeiten in Dienstleistungsbereichen und kleinen und mittleren Unternehmen. Auch die Tätigkeiten und Arbeitsinhalte haben sich verändert. So ist der Anteil der manuellen und körperlichen Arbeit zurückgegangen, während der Anteil der geistigen, überwachenden und planenden Tätigkeiten zugenommen hat. Die Unterschiede von Arbeitern und Angestellten sind schwächer geworden. Dabei haben sich zum Teil auch die Spielräume für eigenverantwortliche Tätigkeit erweitert.

Auch die Arbeitsverhältnisse haben sich verändert. Der Anteil der regulären Vollzeitbeschäftigung geht zurück. Immer mehr Arbeitsplätze werden nur noch befristet besetzt, in Leiharbeitsplätze umgewandelt oder in mehrere Minijobs aufgespalten. Der Anteil der Beschäftigten, die durch Tarifverträge geschützt sind, hat abgenommen. Die Zahl der im Niedriglohnsektor Beschäftigten weitet sich aus. Die prekäre Arbeit nimmt zu. Auf der anderen Seite sind auch vermehrt selbstständige Tätigkeiten entstanden. Dabei handelt es sich aber nicht immer um wirkliche und freiwillige Selbstständigkeit, sondern oft um erzwungene und Schein-Selbstständigkeit mit geringer Bezahlung und wirtschaftlicher Unsicherheit.

Am schlechtesten ist die Lage der Erwerbslosen, insbesondere, wenn sie schon längere Zeit ohne Erwerbsarbeit sind und kaum noch Chancen auf gute Arbeit haben. Sie sind zunehmend Armut, Repression und Ausgrenzung ausgesetzt.

Auch wenn die Arbeitsverhältnisse und Tätigkeiten sehr differenziert sind, so ergibt sich doch die gemeinsame Klassenlage aus dem allgemeinen Charakter der Lohnarbeit mit ihrer Abhängigkeit vom Kapital. Die Lohnabhängigen haben das gemeinsame Interesse, ihre Einkommen, Arbeitsbedingungen und ihre soziale Absicherung durch betriebliche, tarifliche und gesetzliche Regelungen zu verbessern und so die kapitalistische Herrschaft und Ausbeutung zu beschränken.

Frauen unterliegen zudem der Unterdrückung durch patriarchale Strukturen. Die Unterdrückung der Frauen und das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern sind in Wirtschaft und Gesellschaft fest verankert. Die Geschlechterverhältnisse sind Bestandteil der Produktionsverhältnisse und drücken sich insbesondere in der Organisation der Reproduktion aus. Frauen wird die Hauptverantwortung für die Kindererziehung und die Pflege von Angehörigen aufgebürdet.

Aus der gemeinsamen Klassenlage ergibt sich nicht unmittelbar auch eine gemeinsame Interessenvertretung oder gar ein Klassenbewusstsein. Dies wird insbesondere auch durch die Differenziertheit der Arbeits- und Lebensverhältnisse erschwert. Unterschiede im Einkommen, der beruflichen Stellung, der Qualifikationen, familiäre Herkunft und verschiedene Migrationshintergründe prägen die verschiedenen Milieus der Lohnabhängigen. Dies führt, zusammen mit weltanschaulichen, religiösen und politischen Traditionen, zu unterschiedlichen Wertorientierungen und politischen Einstellungen innerhalb der Arbeiterklasse. Unter dem Druck der Massenerwerbslosigkeit wird die Konkurrenz unter den Lohnabhängigen verstärkt. Ein gemeinsames Bewusstsein und eine gemeinsame Interessenvertretung bilden sich am stärksten in den sozialen Auseinandersetzungen heraus.

Auf der anderen Seite ist aber auch die Klasse der Kapitalisten keineswegs homogen. Kapital als Eigentum und Kapital als Funktion sind häufig getrennt, so dass zwischen Kapitaleignern und ihren Beauftragten, dem Management, zu unterscheiden ist. Dieser unterschiedlichen Stellung können auch unterschiedliche Interessen entsprechen.

Neben großen Kapitalbesitzern und Finanzmagnaten gibt es aber auch viele kleine und mittlere Unternehmer und Freiberufler, die nicht durchweg von der Ausbeutung fremder Arbeit leben. Sie leiden zum Teil selbst unter der Übermacht des großen Kapitals. Sie haben daher unterschiedliche Interessen und weisen durchaus auch Gemeinsamkeiten mit der lohnabhängigen Mehrheit der Bevölkerung auf.