Festrede von Andrej Hermlin

Fast auf den Tag genau vor 29 Jahren betrat ich ein altes rotes Backsteingebäude in Berlin Pankow.

Ich war zuvor erst einmal dort gewesen, als Schüler der neunten oder zehnten Klasse, man hatte uns gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, Mitglied der SED zu werden, ich hatte, als die Reihe an mir gewesen war, wider besseres Wissen geantwortet, ich schlösse es nicht aus.

Ansonsten hatte ich kaum eine Erinnerung an diesen Besuch.

Jahre waren seit dem vergangen.

An jenem Januarnachmittag des schicksalhaften Jahres 1990 traf ich in einem der Zimmer des weitläufigen Gebäudes eine ältere Dame an, die hinter einem Tisch mit hoch aufgestapelten roten Parteidokumenten stand.

Sie streckte mir fast beiläufig und mit einem gewissen Gleichmut die Hand entgegen, offensichtlich in der Erwartung, ein weiteres Dokument dem großen Stapel hinzufügen zu können.

Ich sah sie an und erklärte ihr, nein, nein, ich hätte nichts abzugeben, vielmehr wolle ich in die Partei eintreten.

Die Dame hob den Kopf und in ihren Augen las ich blankes Entsetzen. Offenbar hielt sie mich für einen Alien aus einer fernen Galaxie, von grüner Farbe und mit drei oder vier Köpfen ausgestattet.

Als sie sich von ihrem Entsetzen etwas erholt hatte, reichte sie mir wortlos ein weißes Formblatt. Ich könne hier nicht Mitglied werden, sagte sie dann noch, ich müsse mich an die örtliche Parteigruppe wenden.

Sie gab mir die Telefonnummer des für mich zuständigen Vorsitzenden, den ich noch am gleichen Abend in seiner Wohnung besuchte. Dieser war sehr freundlich und zerstreute meine anfänglichen Bedenken, nein, Bürgen wären nun nicht mehr notwendig, und er freue sich über meine Entscheidung.

Wenige Tage später saß ich im Speiseraum einer nahegelegenen Schule, eine Liste wurde verlesen von etwa 30 Personen, die seit der letzten Versammlung vor einer Woche die Parteigruppe verlassen hatten, darunter war auch der freundliche Vorsitzende...

Die neugewählte Vorsitzende, eine Dame mit Kurzhaarschnitt, die ich flüchtig aus der Nachbarschaft kannte, hob meinen Antrag in die Höhe zum Erstaunen der übrigen Anwesenden. Ich sagte ein paar Worte, versuchte meinen Beitritt zu begründen.

Ein etwa 80-jähriger Genosse, von dem ich später erfuhr, dass er fast 20 Jahre in den Stalinschen Lagern zugebracht hatte, erhob sich - kaum das ich geendet hatte - und sprach stammelnd davon, was mein Entschluss ihm – in diesen Zeiten - bedeute. Er suchte nach Worten und sank schließlich weinend auf seinen Stuhl zurück.

Wann immer ich in den letzten Jahren mit meiner Mitgliedschaft haderte, musste ich an ihn - sein Name war Lewin - denken, und ich wusste, ich konnte nicht gehen...

Ich wurde Mitglied dieser Partei in einer Zeit, als wöchentlich Zehnttausende ihre Reihen verließen, weil sie urplötzlich erkannten, welch furchtbarer Partei sie all die Jahre angehört hatten. Seltsamerweise war ihnen das trotz Mauer, Mielke und Bautzen zuvor nie aufgefallen.

Meine damalige Entscheidung hatte für mich Konsequenzen. Ich nahm diese Konsequenzen bewusst in Kauf.

Ich trat der PDS bei, als es fast täglich und buchstäblich um ihre Existenz ging. Ich erinnere mich an dramatische Sitzungen und eben solche Parteitage.

An durchwachte Nächte im Karl Liebknecht Haus...

In jenen ersten Jahren des Bestehens unserer Partei hieß es die Reihen zu schließen, um zu überleben, Diskussionen nicht zu führen, sondern hinten an zustellen, um zu überleben.

Ich selbst habe mich daran beteiligt, Streit zu unterdrücken und Entscheidungen auf später zu verschieben. Doch seitdem ist fast ein Vierteljahrhundert vergangen, und so sehr es damals richtig gewesen sein könnte, bestimmte Konflikte nicht zu auszutragen, so sehr glaube ich, dass wir jetzt diese Diskussionen führen und auch Entscheidungen treffen müssen.

Diese Partei ist voller Widersprüche. Es sind im Grunde genommen zwei oder drei Parteien - vorübergehend vereint in einer.

Nicht wenige von uns haben sich gut eingerichtet in der Gesellschaft, die vor fast 30 Jahren über uns gekommen ist. Andere verweigern sich dieser Gesellschaft bis heute.

Einige wollen sie hier und dort nur verbessern, andere wiederum träumen davon, diese Gesellschaft zu überwinden, ohne sich wirklich sicher zu sein, was an deren Stelle zu setzen wäre.

In unseren Reihen sind Mitglieder der SED, die dieser Partei wohl auch noch angehören würden, wenn sie noch so hieße, junge Menschen, die noch nicht geboren waren, als die DDR unterging, Menschen, die in der alten Bundesrepublik den verschiedensten linksradikalen Strömungen angehörten und Jahrzehnte in gesellschaftlicher Isolation zubrachten - und sogar Swingmusiker mit russischer Mutter und jüdischem Vater, die gelegentlich mit zweifarbigen Schuhen auf Parteitagen erscheinen. Menschen also, die sich wohl nie über den Weg gelaufen wären, die aber ein bestimmter historischer Moment zusammen führte oder zumindest zusammen zu führen schien.

Jahre sind vergangen, und es ist Zeit, denke ich. Es ist hohe Zeit. Wir müssen endlich den Mut haben, herausfinden, wer wir eigentlich sind, besser gesagt, was wir sein wollen, was wir zu erreichen gedenken, vor allen Dingen aber, wie wir es erreichen wollen.

Es sind fundamentale Fragen, auf die wir Antworten suchen und finden müssen.

Von der Beantwortung dieser Fragen hängt nicht nur ab, ob es unserer Partei gelingt, sich maßgeblich von jenen anderen Parteien abzusetzen, die ihren Frieden gemacht haben mit dem Bestehenden, vielmehr ist die aufrichtige Beantwortung dieser Fragen von geradezu existenzieller Bedeutung für unser Überleben.

Es kommt darauf an, unserem eigenen Anspruch, der nicht zuletzt aus der Geschichte dieser Partei erwächst, gerecht zu werden. Dazu gehört, diese Geschichte anzunehmen, die Verwerfungen, die aus den Handlungen unserer Vorgänger erwuchsen nicht zu leugnen, auch die begangenen Verbrechen nicht und uns zugleich auf den wahren Ursprung jeder revolutionären Bewegung zu besinnen, wonach es stets um die Verbesserung des Lebens der Allgemeinheit geht und um die Schaffung der Voraussetzungen hierfür.

In der Vergangenheit, so scheint mir, haben wir uns oft verlaufen in einer Gewirr von halbherzigen Entschuldigungen und hilflosem Aktionismus. Die politischen Strukturen in modernen kapitalistischen Ländern wie Deutschland machen das Leben nicht leicht für eine Partei wie die Unsrige.

Wir bewegen uns in einem bestimmten Rhythmus, der davon bestimmt ist, in immer wiederkehrenden Zyklen bestmögliche Wahlergebnisse zu erzielen.

Man versucht, das zu sagen, was der Wähler oder jene die man für potentielle Wähler hält, vermeintlich zu hören wünschen. Man legt sich gewissermaßen auf die Schienen und hält das Ohr ganz dicht an das blankpolierte Metall, um den herannahenden Zug zur erahnen, seinen Klang zu bestimmen und nachzuahmen.

Kürzlich las ich in der Verlautbarung einer maßgeblichen Politikerin unserer Partei, man müsse die Sprache der Menschen sprechen, man müsse ihnen zuhören und ihnen gewissermaßen aufs Maul schauen. Nun könnte man fragen, was man da wohl vernehmen würde und welche Sprache man zu sprechen hätte, um verstanden und gewählt zu werden. Ganz abgesehen davon, dass zu klären wäre, von welchen Menschen hier eigentlich die Rede ist - in Zeiten, da alle möglichen Agitatoren vorgeben, für das deutsche Volk zu sprechen.

Das Ansinnen der erwähnten Politikerin ist es offensichtlich, diese Partei in einen Transmissionsriemen des behaupteten Volkswillens zu verwandeln.

Das ist nicht mein Verständnis von Politik.

Ich hege noch immer die vielleicht manchen naiv erscheinende Überzeugung, dass es nicht die Aufgabe einer politischen Partei ist, auf die seismischen Schwingungen in einer Gesellschaft zu hören und all das zu sagen oder zu tun, was der übrigens sehr wechselhafte Anhang zu wünschen vorgibt.

Stattdessen glaube ich, dass eine politische Partei - noch dazu jene, die für eine – darf man dieses Wort überhaupt noch im Munde führen? -  sozialistische Utopie steht, dass es also die vornehmste Aufgabe einer solchen Partei ist, ein visionäres politisches Ziel zu entwerfen, für dieses Ziel einzutreten - und das auch dann, wenn man dieses Zieles wegen verlacht, verspottet und bekämpft wird.

Menschen beindruckt man nicht, wenn man ihnen nach dem Munde redet, man gewinnt sie nicht, wenn man beliebig ist und farblos. Man beeindruckt sie vielmehr mit Leidenschaft, mit einem Glauben an die Richtigkeit des Gesagten, mit Mut und mit Ernst.

Deutschland ist unsicher geworden. Scheinbare Gewissheiten beginnen sich aufzulösen. Dabei schreiten die einzelnen Veränderungen in einem auf den ersten Blick beschaulichen Maß voran, so dass man sich an jede dieser Veränderungen gewöhnen kann, ohne eine allzu große Erschütterung in der Seele zu verspüren.

Das Ganze erinnert ein wenig an den Frosch, der in einem Gefäß vergeht, weil das Wasser darin nur allmählich erhitzt wird, bis es schließlich zu kochen beginnt.

Mir scheint, als gäbe es auch in der Linken weitverbreitete Illusionen darüber, was mit dieser Gesellschaft, unserer Gesellschaft in Deutschland eigentlich geschieht und nach kritischem Ermessen weiter geschehen wird.

Die Therapie eines Patienten ist unmöglich, wenn der Zustand des Betreffenden nicht zuvor eingehend analysiert worden ist. Eine zutreffende Diagnose ist zwar keine Garantie für eine erfolgreiche Therapie, sie ist aber die Mindestvoraussetzung dafür.

Was aber ist die Diagnose des Patienten Deutschland?

Nach meinem Dafürhalten haben wir große Teile des deutschen Volkes verloren, Millionen von Deutschen haben sich abgewandt von der existierenden Staatsform unseres Landes, sie mögen noch eine gewisse Verbundenheit spüren mit ihrer Heimatstadt oder ihrem Heimatkreis, aber ihre Bindung an die bürgerliche Demokratie ist ebenso verloren gegangen, wie ihr Vertrauen in die Regierung, das Parlament, die Behörden und die Medien.

An die Stelle von Vertrauen und Treue ist Ernüchterung getreten, Enttäuschung, Wut und schließlich Verachtung.

Verachtung. Das schlimmste, was einer Regierung, einem Staat widerfahren kann, ich verzichte darauf, jüngere historische Vergleich zu bemühen, die wie nur allzu gut in Erinnerung haben.

Die Regierenden und die Regierten verstehen einander nicht mehr, die Regierten wenden sich ab und die Regierenden sind gekränkt und verunsichert.

In grundsätzlichen Belangen verweigern sich inzwischen bedeutende Teile der deutschen Bevölkerung dem Kurs der Regierenden.

Sie fürchten sich vor den Menschen, die zu uns flüchten, sie lehnen Menschen anderen Glaubens oder anderen Aussehens ab. Sie fühlen sich von den Regierenden, die sie Eliten nennen, betrogen, sie vertrauen obskuren Quellen im Internet ebenso blind wie sie den Fernsehnachrichten misstrauen, und nicht zuletzt sind Soros und die jüdische Weltverschwörung sowieso an allem schuld.

In diesen Zeiten der Verwirrung ist es für unsere Partei nicht leicht, einen Kurs zu finden oder einen einmal gewonnenen Kurs zu halten. Zu groß ist das Verlangen, beliebt zu sein, gewählt zu werden.

Dabei schlagen einige Funktionäre in letzter Zeit über alle Stränge.

So verwechselt die bereits erwähnte maßgebliche Politikerin absichtsvoll Asylrecht mit Gastrecht und verspricht dem angeblich durch junge männliche Flüchtlinge akut gefährdeten deutschen Arbeiter, künftig zuvorderst Fluchtursachen bekämpfen zu wollen - als gäbe es keinen Kapitalismus und keinen Neokolonialismus mehr.

Und wenn das mit der eigenen Partei nicht gelingen sollte, so raunt man, kann man zur Not noch aufstehen.

Da beschließt der Parteivorstand im Sommer letzten Jahres, mit einer einzigen Gegenstimme, eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse in Gaza zu verlangen, und das, obwohl man in der selben Resolution den allein Schuldigen bereits ausgemacht haben will, Israel, natürlich

Ohnehin haben nicht wenige Mitglieder dieser Partei eine seltsame Obsession mit dem jüdischen Staat.

Hunderte von der islamistischen Al Shabab Miliz ermordete Schulkinder im kenianischen Garissa, nichts rührt sich in den Vorstandsetagen unserer Partei. Tausende vergewaltigte Frauen im Ostkongo, die Partei bleibt stumm.

Dann aber hat Israel die Stirn, auf die fortgesetzten Mordaufrufe der Hamasführung und auf die Gewalt Zehntausender ihrer Anhänger an der Staatsgrenze seinerseits mit Gewalt zu reagieren, und schon bricht ein Sturm der Entrüstung los. Mit der Wahrheit nimmt es dabei der Parteivorstand nicht so genau und übersieht vor lauter Empörung auch gleich die wehenden Hakenkreuzfahnen der Palästinenser in Gaza.

Man kann antisemitisch sein, im festen Glauben, genau das nicht zu sein. Antisemitismus aber ist niemals links. Und links ist niemals antisemitisch.

Was für unsere Partei gilt, gilt in erhöhtem Maße für das Land:

Wenn man erst Mal auf die schiefe Bahn gekommen ist, rutschen die Verhältnisse schneller weg als man bis 33 zählen kann.

Was uns im Moment vor dem Schlimmsten noch bewahrt, ist das Ausbleiben einer veritablen Wirtschaftskrise, deren ersten Anzeichen allerdings bereits am Horizont zu erkennen sind.

Was uns ferner zu retten scheint, ist das Fehlen wirklich charismatischer Erscheinungen bei den politischen Rechten, den bereits bekannten Führern entsprechendes Potenzial abzuschreiben wäre aber wohl voreilig, auch Hitler wurde zu Beginn seiner politischen Karriere belächelt.

DIE LINKE wird sich entscheiden müssen, ob sie die Verantwortung, die ihr aus ihrer Geschichte erwächst, annimmt.

Dazu gehört, standhaft zu bleiben und einmal gewonnene Überzeugungen nicht auf dem Altar der scheinbaren politischen Notwendigkeiten zu opfern.

Vor allem aber muss unsere Partei bestrebt sein, in den auf uns zukommenden Jahren der politischen Wirren Kurs zu halten. Das kann sie nur, wenn sie sich um diesen Kurs aufrichtig bemüht, wenn sie über das politische Tagesgeschäft hinaus denkt, wenn sie der politischen Philosophie eine Chance gibt und sich nicht darin erschöpft, Wahlen gewinnen zu wollen.

Ich leite seit vielen Jahren ein Orchester. Wie der eine oder andere von Ihnen möglicherweise weiß, spielen wir Swingmusik. Jedes Orchester muss irgendwann darüber befinden, welche Musikrichtung es dem Publikum präsentieren will.

Um im Bild zu bleiben: Es ist kaum vorstellbar, dass der Schlagzeuger unseres Orchesters Swing spielt, der Gitarrist aber Hard Rock und der Trompeter Freejazz.

Das Publikum würde angesichts dieses furchtbaren Katzengejammers davonlaufen, und es hätte allen Grund dazu.

Die Entscheidung für einen bestimmten Kurs verlangt einem Orchester wie auch einer Partei Schmerzen ab. Es geht nicht ohne Mut, und ja, auch nicht ohne Verluste.

Aber je später wir damit beginnen, um diesen Kurs zu streiten und uns schließlich auch für einen Kurs zu entscheiden, desto geringer unsere Chancen im Wettkampf der Orchester um politische Ideen zu bestehen.

Ich möchte, dass das „DIE LINKE“ genannte Orchester ein erfolgreiches Orchester ist.

Es soll in vielen Städten und Ortschaften gastieren, es soll die Herzen der Menschen in unserem Land gewinnen. Weil es leidenschaftlich Musik macht und dies aus Überzeugung.

Wir sind es nicht zuletzt jenen schuldig, die für die sozialistische Idee, für ein anderes Deutschland und ein freies Europa einst gefallen sind.

Lasst uns also damit beginnen, uns selbst zu finden.

Was ich dazu beitragen kann, will ich gern tun.

Rede von Wenke Brüdgam

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Liebe Genossinnen und Genossen,

ich begrüße Sie und euch alle sehr herzlich zum Neujahrsempfang und freue mich sehr, gemeinsam einen schönen Abend verbringen zu können. Für das neue Jahr wünsche ich allen Zufriedenheit, Gesundheit, Schaffenskraft, politischen Elan und Frieden. Es steht ein wichtiges Jahr für uns an, denn wir wollen in den Kommunen und in Europa dem Rechtsruck etwas entgegensetzen.

Wenn ich jetzt einen Blick auf die gesamtpolitische Lage werfen würde, so würde dieser eher deprimierend ausfallen. Und schlechte Nachrichten gibt es wahrlich genug, egal ob Trump, Brexit oder Rechtsruck.

Nur: Ich möchte diesen Neujahrsempfang nutzen, um einmal über positive Dinge zu sprechen. Um tatsächlich gute Nachrichten in den Vordergrund zu rücken. Denn genau sie sind es, die uns Kraft und Freude für linke Politik geben. Sie zeigen, dass Menschen sich einmischen, dass für Gerechtigkeit und eine enkeltauglichere Welt gestritten wird und es vieles an Hoffnung gibt.

Ich möchte mit etwas beginnen, was mich nicht nur als Landesvorsitzende unserer Partei sehr freut, sondern vor allem auch als Mutter: Junge Menschen gehen endlich wieder demonstrieren. Sie mischen sich ein und zeigen Flagge für eine andere Klimapolitik. Und wer kann es Ihnen verübeln?

Schließlich haben sie noch viele Jahrzehnte auf diesem Planeten vor sich, und diese wollen sie selbstverständlich in einer lebenswerten Umwelt verbringen.

Und wenn ich dann lese, wie sich zum Beispiel die Junge Union über dieses angebliche Schulschwänzen aufregt, dann sage ich ganz ehrlich: die haben echt den Schuss nicht gehört. Denn wenn junge Menschen sich engagieren und einmischen, wenn sie politische und kollektive Handlungsfähigkeit erfahren, dann lernen sie wohl mehr als bei der Rekonstruktion von Funktionsgleichungen.

Bildung ist eben nicht das einfache Hineinpfropfen von Wissen, Bildung ist immer auch Persönlichkeitsentwicklung. Wir als LINKE stehen solidarisch an der Seite der Schülerinnen und Schüler, die für eine andere Klimapolitik demonstrieren. Und wir wissen auch, dass ein paar kosmetische Korrekturen am Kapitalismus, wie es der so genannte „Green New Deal“ vorschlägt, nicht ausreichen. Die Aktivistin Naomi Klein hatte völlig Recht, als sie 2015 sagte: Wir müssen uns entscheiden: Klima oder Kapitalismus.

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Genossinnen und Genossen, reisen wir nach Costa Rica. Costa Rica ist einfach cool und das nicht nur wegen der Faultiere. Dieses Land hat viele Dinge gemacht, die aus linker Perspektive ganz hervorragend sind, aber eines möchte ich besonders hervorheben:

  • seit 2015 deckt Costa Rica seinen Energiebedarf zu 99,4% aus regenerativen Energien

Das zeigt: Eine echte Energiewende, eine komplette Umstellung der Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien ist möglich. Was Costa Rica ist, das können wir auch werden. Eine Energiewende, die selbstverständlich für alle bezahlbar sein muss, ist ein wichtiger Beitrag, um die Klimakrise zu ändern und zukünftige Kriege unwahrscheinlicher zu machen. Denn immer knapper werdende Ressourcen und Energiequellen sind ein wichtiger Kriegsgrund.

Wir als LINKE stehen für den Plan B, für einen sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft, und wir können uns Costa Rica hier als Vorbild nehmen.

Wir kehren bei unserer Reise der guten Nachrichten nach Europa zurück, und zwar zu unseren relativ direkten europäischen Nachbarn, nach Tschechien. Es geht um Lebensmittel. Tschechien ist in Europa das zweite Land nach Frankreich, welches es verboten hat, Lebensmittel wegzuschmeißen

Große Supermarkt-Ketten müssen in Tschechien unverkäufliche Lebensmittel kostenlos an Hilfsorganisationen abgeben. Das Verfassungsgericht in Brünn erklärte ein entsprechendes Gesetz für rechtens.

Die Richter verwiesen, übrigens völlig zurecht, auf die tschechische Grundrechte-Charta, in der es heißt, dass Eigentum verpflichtet. Die Abgabepflicht sei zudem als Teil weltweiter Bemühungen zu werten, die "schwerwiegenden Fragen der Lebensmittelverschwendung" zu lösen.

Angesichts der Tatsache, dass nach wie vor laut Schätzungen 1/3 aller Lebensmittel weggeschmissen werden, und immer noch fast eine Milliarde Menschen hungert, ist das eine hervorragende Initiative.

Wir Linken wollen, dass Essen sinnvoll produziert und konsumiert wird. Mit Marx ließe sich dazu sagen: Nur weil Essen angeblich keinen Tauschwert hat, so hat es doch immer noch Gebrauchswert.

Werte Damen und Herren wir sagen sehr häufig: Links wirkt. Und für Luxemburg als ganzes trifft dies jetzt zu. Denn Luxemburg führt als erstes Land den kostenlosen Öffentlichen Personennahverkehr ein. Es gab vorher schon Positivbeispiele wie das estnische Tallinn. Aber jetzt ist es gleich ein ganzer Staat, wenn auch ein kleiner und sehr reicher. Das zeigt: Die Idee hat Konjunktur.

Was passiert, wenn hier gespart wird, sieht man jeden Winter an der Deutschen Bahn (bitte entschuldigt, das war jetzt keine gute Nachricht, wie ich sie mir vorgenommen hatte). Natürlich wird dieser ÖPNV steuerfinanziert, also über Beiträge. Dadurch, dass das Steuersystem progressiv ist, zahlen Besserverdienende proportional mehr, was bedeutet, dass der Öffentliche Personennahverkehr solidarisch finanziert wird und nicht wie vom Bahnbeauftragten der Bundesregierung in Klammern CDU gefordert durch höhere Preise.

Wir wollen, dass niemand von Bus und Bahn und damit von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen wird. Wir brauchen das auch endlich in Deutschland.

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Genossinnen und Genossen, kommen wir zurück nach Deutschland. Wie vielleicht bekannt ist, liegen mir Frauenrechte, liegt mir feministische Politik sehr am Herzen. Gerade in dieser Hinsicht ist 2019 ja ein besonderes Jahr.

Wir feiern 100 Jahre praktisches Frauenwahlrecht. Das Gesetz wurde bereits 1918 verabschiedet, aber tatsächlich gingen Frauen vor 100 Jahren erstmals wählen und konnten sich auch wählen lassen. In der Weimarer Republik wurde es endlich ernst damit, dass auch Frauen als vollwertige politische Bürgerinnen anerkannt wurden.

Worauf ich an dieser Stelle einmal hinweisen möchte, und die anwesenden Männer mögen es mir nachsehen, ist, dass Frauen auch einfach klüger wählen. Denn wenn nur Frauen wählen dürften, müsste die AfD um den Einzug in den Bundestag bangen, es hätte keinen Brexit gegeben, Trump wäre nicht Präsident geworden, auch der brasilianische Faschist Bolsonaro nicht.

Ich ziehe daraus selbstverständlich nicht den Schluss, den Männern jetzt das Wahlrecht wegnehmen zu wollen. Aber interessant ist es schon, wie anders die politische Welt wäre, wenn nur Frauen entscheiden dürften.

In Berlin wurde ganz aktuell der Frauentag, der 08. März als gesetzlicher Feiertag eingeführt. Dies wurde maßgeblich von unseren Berliner Genossinnen und Genossen initiiert, und es sollte in ganz Deutschland Schule machen. Auch deshalb hat der Landesvorstand der LINKEN Mecklenburg-Vorpommern, am vergangenen Samstag die Forderung nach einem Feiertag am 8. März, als Frauenkampftag, gefordert.

Und: Dieses Jahr wird es erstmals seit langem wieder einen Frauenstreik geben. Denn nach wie vor bekommen Frauen im Durchschnitt deutlich weniger Lohn und drastisch weniger Rente, aber sie dürfen zum Dank mehr Hausarbeit machen. Dass Frauen dagegen aufbegehren, ist ein ermutigendes Zeichen. Wir als LINKE stehen solidarisch an der Seite der streikenden Frauen, und ich persönlich stelle mich gern in die erste Reihe.

Sie merken, es gibt viele gute Nachrichten auf dieser Welt, aber wir finden, es sind noch immer zu wenig. Darum werden wir in diesem Jahr, im Kommunalwahlkampf:

  • für einen ÖPNV kämpfen, der diesen Namen auch verdient
  • uns für erneuerbare Energien einsetzen von denen alle profitieren
  • und für Schulen streiten die besser ausgestattet sind, aber sich vielleicht auch mehr an die Seite von Schülerinnen und Schüler stellen können, die für ihre Zukunft streiken.
  • Kurzum, wir wollen dieses Land gestalten und nicht verwalten, mit den Menschen und für die Menschen.

Verehrte Anwesende, Liebe Genossinnen und Genossen, ich wünsche Ihnen und euch heute einen schönen Abend, gute Gespräche, interessante Begegnungen und viel Freude. Bleiben sie der LINKEN und dem Optimismus gewogen. Ich danke Ihnen und euch für die Aufmerksamkeit.