Der SDS Rostock zur Podiumsdiskussion zur Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Rostock an Edward Snowden

ME

Am 20.01 fand eine große Podiumsdiskussion im Audimax der Universität Rostock zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an Edward Snowden statt. Die Einschätzung und Stellung des SDS dazu hier:

Das Auditorium Maximum der Universität platzte fast aus allen Nähten – so groß war der gestrige Andrang zu einer Podiumsdiskussion, zu der die Philosophische Fakultät der Universität Rostock geladen hatte und die auch die Rostocker SDS Hochschulgruppe besuchte. Das Interesse war riesig, drängten sich doch zwischen 600 und 1000 Menschen im größten Vorlesungssaal der Universität und vor der Videoleinwand im Foyer, um live die Diskussion über die Einleitung eines Ehrenpromotionsverfahrens für Edward Snowden zu verfolgen. Dieser deckte 2013 die allumfassenden Techniken der globalen Überwachung durch amerikanische, britische und andere Geheimdienste, wie die NSA oder GCHQ, auf und befindet sich seitdem in russischem Exil.


Zur Podiumsdiskussion waren namhafte Gäste erschienen, wie Hans-Christian Ströbele, welcher mit Snowden im Moskauer Exil sprach und ein Plädoyer für einen Untersuchungsausschuss und Befragung von Snowden in Deutschland zu den Überwachungsprogrammen unterstützt, der Spiegel-Journalist Marcel Rosenbach, welcher Snowdens Enthüllungen zusammen mit anderen Journalisten der Washington Post und des Guardian aufbereitet und gesichtet hatte und der ehemalige Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, welcher die Enthüllungen aus einer rechtlichen Perspektive beleuchtet und als ein Gutachter die wissenschaftliche Bedeutung der Enthüllungen im Ehrenpromotionsverfahren einschätzte. Unterstützt wurden sie dabei von den Initiator_Innen der Philosophischen Fakultät Prof. Hans-Jürgen von Wensierski, Prof. Gesa Mackenthun, Prof. Elizabeth Prommer und Professor Heiner Hastedt, welche philosophische, medien- und kulturwissenschaftliche Aspekte beleuchteten. Nahezu alle Anwesenden sprachen sich für die große Leistung von Edward Snowden aus, die nicht nur im politischen, sondern auch im wissenschaftlichen Kontext große Bedeutung besitzt.

Marcel Eggert, verantwortlich für Netzpolitik im Landesvorstand der Linken MV, als stellvertretender Hochschulgruppensprecher des Rostocker SDS dazu:

„Wir begrüßen ausdrücklich die Absicht der Philosophischen Fakultät ein Ehrenpromotionsverfahren für Edward Snowden zu eröffnen. Es ist ein richtiges Zeichen, einen Menschen, der sein eigentlich bequemes Leben und seine ganze Existenz aufs Spiel setzt, um für Transparenz über undemokratische Aktivitäten von Geheimdiensten zu sorgen, durch ein solches Verfahren zu ehren. Gewissen, Anstand und Verantwortungsbewusstsein gegenüber allen Menschen vor geltendes, als legitim angesehenes Recht der Geheimdienste zu stellen und durch eine Form des zivilen Ungehorsams dagegen vorzugehen, zeichnen ihn aus. Jede Bürgerin und jeden Bürger bereits durch die Erhebung von Bewegungs- und Metadaten unter Generalverdacht zu stellen und bei bestimmten Ergebnissen noch genauer zu durchleuchten, ist den Grundprinzipien einer Demokratie unwürdig. Ein Ehrendoktor kann zudem, wie auch Prof. Hastedt betont, nicht nur für rein wissenschaftliche Verdienste, sondern auch dem Bildungsideal der Aufklärung folgende Handlungen verliehen werden. Diese aufklärerischen Enthüllungen Snowdens und ihre Impulswirkung für neue, wissenschaftliche Überlegungen in allen Bereichen der Geistes-, Rechts- und Gesellschaftswissenschaften rechtfertigen ein Ehrenpromotionsverfahren allemal.“


Kritisch betrachtet der SDS Rostock hingegen die Äußerungen zu möglichen Folgen und Reaktionen auf die flächendeckende Überwachung durch Geheimdienste. Ströbeles Ansicht ist beizupflichten, dass Verhandlungen nicht zwischen Geheimdiensten verschiedener Nationen, sondern auf höchster, und vor allem politischer Ebene zu führen sind. Angela Merkel tut sich weder dabei hervor, noch bei entsprechenden Reaktionen auf die Überwachung durch einen doch als verbündet angesehen Staat. Das Freihandelsabkommen mit den USA muss deshalb richtigerweise auf den Prüfstand gestellt werden. Zu widersprechen ist Ströbele jedoch in Teilen, dass vor allem jeder einzelne Verantwortung dafür zu tragen habe für eine möglichst gute Verschlüsselung seiner Daten zu sorgen. Vielmehr ist es doch eine Frage der staatlich zu garantierenden Grundrechte auf Schutz der Privatsphäre. Der einzelne Bürger kann sich ohne größeres technisches Verständnis kaum gegen die ausgefeilten Methoden der Geheimdienste absichern, zumal namhafte Größen und Datensammler wie Google, Facebook oder Apple von der NSA zu einer Herausgabe ihrer zu kommerziellen Zwecken erhobenen Daten, die jeder einzelne von uns produziert, gezwungen werden oder die NSA von vornherein Manipulationen an Geräten vornimmt, um ohne unser Wissen Daten zu sammeln, auch wenn wir überhaupt nicht im Internet sind. Nur durch staatliche und rechtliche Regelungen und Garantien können die Bürger- und Freiheitsrechte gesichert werden. Diese Ansicht teilt der SDS mit Prof. Prommer. In diesem Zusammenhang ist zudem den Aussagen des ehemaligen Verfassungsrichters Hoffmann-Riem beizupflichten. Der rechtliche Schutz der Privatsphäre der Bürger endet nach momentanen Gesetzen an den Grenzen des entsprechenden Nationalstaates. Insbesondere die EU spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Sie müsse stärker auch als Gewährleistungsunion von Rechten verstanden werden, die über nationale Grenzen hinweg in Europa bestehen müssten. Neben der Neukonstruktionen und Absicherung von individuellen Grund- und Menschenrechten muss zusätzlich auch über die Absicherung der Systeme nachgedacht werden. Dabei darf es aber nicht, wie Hoffmann-Riem es hingegen anregt, zu einer Zersplitterung des Internets in kleinere Organisationseinheiten, wie ein europäisches „Schengen-Netz“, kommen. Ganz getreu der Grundausrichtung des Internets, Menschen weltweit zu vernetzen und kommunizieren zu lassen, muss auch das Internet global gedacht und seine Absicherung in globalen Kontexten und Verhandlungen mit allen Beteiligten gedacht werden. Wir unterstützen zudem die Aussage Prof. Mackenthuns, die betonte, dass nicht nur Snowden Dank und Ehre gebühre. Auch kritischen Journalist_Innen, die die Enthüllungen sichten und aufbereiten, oder Richter_Innen, die offen Stellung gegen die Rechtsbrüche und -auslegungen der NSA beziehen, seien wichtige Stimmen der weltweiten Kritik.


Wie wichtig Moral, Gewissen und derartige Handlungen vieler Akteure für Offenheit und Freiheit sind, zeigt die Debatte um Snowden in der Geschichte nicht zum ersten Mal. Bereits in den 1970er Jahren bewies der US-Amerikaner Daniel Ellsberg ähnliche Courage. Dieser kopierte tausende geheime Akten des Pentagon und veröffentlichte diese zusammen mit der New York Times und der Washington Post. In diesen wurde die jahrelange, gezielte Täuschung der öffentlichen Meinung gegenüber des Vietnam-Krieges bewiesen und eine große Welle der Empörung angestoßen. Auch wenn Ellsberg, wie Snowden heute, als Verräter gebrandmarkt wurde, so haben die damaligen, wie heutigen Enthüllungen größte Bedeutung für eine freiheitliche und offene Gesellschaft und es gebührt diesen Menschen großer Respekt und Dank.