PDS und SPD schreiben Geschichte in Mecklenburg-Vorpommern
Vor 25 Jahren wurde Geschichte geschrieben. Der Koalitionsvertrag der bundesweit ersten rot-roten Regierung wurde in Schwerin unterzeichnet. Wir blicken zurück und zeigen, was war, was bleibt und was noch werden kann.
Am 3. November 1998, vor 25 Jahren, wurde mit den Unterschriften der jeweiligen Landes- und Fraktionsvorsitzenden von SPD und PDS in Mecklenburg-Vorpommern die Bildung der ersten rot-roten Regierung eines Landes in der Geschichte der Bundesrepublik besiegelt. Zuvor stimmten die beiden Koalitionspartner auf Parteitagen für das Regierungsbündnis. Die Delegierten der PDS machten mit 94,3 Prozent Zustimmung den Weg frei.
Das Geschehen im politischen Schwerin sorgte seinerzeit landauf landab für heftige Diskussionen. Acht Jahre nach dem Scheitern des ersten Versuchs einer nichtkapitalistischen Gesellschaft auf deutschem Boden sollten deren Protagonisten wieder in Regierungsverantwortung?
Mecklenburg-Vorpommern war in einer anderen Situation als heute. Mit 17 Prozent verzeichnete der Nordosten die bundesweit zweithöchste Arbeitslosigkeit. Rot-Rot übernahm einen hoch verschuldeten öffentlichen Haushalt und musste mit einer unter der Kohl-Bundesregierung erlahmten Konjunktur fertigwerden.
Die neue Landesregierung stand unter einem enormen Druck, denn einerseits begegnete man ihr mit Skepsis, anderseits forderten die Unterstützer schnelle und spürbare Erfolge. Bundesweit blickten Medien, Wirtschaft und Wissenschaft auf Mecklenburg-Vorpommern.
Beide Parteien und Fraktionen wollten beweisen, dass das Bündnis funktioniert. Der PDS lag daran, die eigenen Wahlversprechen zu halten und denen, die da behaupteten, die PDS wäre nicht regierungsfähig, das Gegenteil zu beweisen. Politikerinnen und Politiker der PDS, die das Tag für Tag unter Beweis stellten waren u.a. Dr. Martina Bunge, Prof. Dr. Wolfgang Methling, Angelika Gramkow, Helmut Holter und auch Peter Ritter.
Die Basis der PDS stand der Koalition zur Halbjahresbilanz aufgeschlossener gegenüber als Skeptiker dies gerne verbreiteten. Eine Fragebogenaktion in den Kreisverbänden zeigte eine hohe Zustimmung. Nicht einmal zwei Prozent der Mitglieder betrachteten die Koalition als „eher negativ“, knapp eine Viertel war „skeptisch“, drei Viertel jedoch urteilten über rot-rot „eher positiv“.
Auch die SPD stand unter enormen Druck, galt es doch, den Skeptikern in den eigenen Reihen, und derer gab es viele, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Sozialdemokraten zudem schien ständig unter Beweis stellen zu wollen, wer Koch und wer Kellner im Bündnis ist. Ein Handeln auf Augenhöhe hätte beiden Partner und auch dem Landtag selbst besser getan. Natürlich sind auch in einer Koalition unterschiedliche Meinungen üblich. Dies ist bis heute so. Manche inhaltlichen Brüche hätten rückblickend sogar noch stärkere Konsequenzen haben müssen: SPD-Regierungschef Ringstorff hatte entgegen der Vereinbarung im rot-roten Kabinett und “seinem Bundeskanzler Schröder" gehorchend, dessen Rentengesetzen im Bundesrat zugestimmt. Ein Handeln, das die PDS nicht hätte hinnehmen dürfen.
Die Historie des Bündnisses aus SPD und PDS ist bekannt. Es hielt zwei Legislaturperioden, insgesamt acht Jahre. Eine weitere Legislaturperiode wäre möglich gewesen, jedoch war dem Seniorpartner eine Einstimmenmehrheit zu riskant.
Peter Ritter: Herzlichen Dank für Euren Mut und Euer Engagement!
Bei der Landtagswahl 1998 wurde die SPD mit 34,3% stärkste Kraft. Die CDU erreichte 30%. Mit 24,4% konnte die PDS ihr bis dahin und bis heute bestes Wahlergebnis erreichten. Die politische Landschaft war in Bewegung - nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern. Im Ergebnis der zeitgleich stattgefundenen Bundestagswahl wurde die erste Koalition zwischen SPD und Bündnis´90/Die Grünen gebildet. Gerhard Schröder wurde Bundeskanzler. Auch in Mecklenburg-Vorpommern gab es ein Wechselstimmung. Doch nicht nur zahlreiche politischen Schnittmengen zwischen SPD und PDS boten die Chance für einen politischen Neuanfang. Auch das tiefe Zerwürfnis zwischen SPD und CDU bestimmte die politische Agenda. So oder so: Für die PDS und ihre Landtagsabgeordneten begann eine spannende Zeit. Keiner von uns hatte Erfahrungen im Führen von Koalitionsverhandlungen. Dennoch stürzten wir uns voller Energie und Euphorie in die Arbeit. Argwöhnisch begleitet von der interessierten politischen Öffentlichkeit, aber auch und vor allem von der eigenen Partei. Der Euphorie folgte bald Ernüchterung. Dennoch trug der ausgehandelte Koalitionsvertrag auch die Handschrift der PDS - rückblickend zu wenig. Damals ein Schritt in Richtung Politikwechsel, hin zu politischer Normalität.
Der Landesparteitag stimmte mit großer Mehrheit dem Koalitionsvertrag zu. Auch die Landtagsfraktion. Ich gehörte zu den wenigen, die sich der Stimme enthielten, da ich befürchtete, dass die PDS in der Koalition zu wenig durchsetzen und bewegen könne. Dennoch ging es mit voller Kraft an die Arbeit.
Am 3. November 1998 nahm die erste rot-rote-Landesregierung in der Bundesrepublik ihre Arbeit auf. Harald Ringstorff wurde Ministerpräsident. Ein Landesvater im wahrsten Sinne des Wortes. Gern erinnere ich mich an die konstruktive und offene Zusammenarbeit, die ich mit ihm während der 2. rot-roten-Koalition als Landesvorsitzender unserer Partei gestalten durfte.
Im ersten rot-roten-Kabinett stellte die PDS drei Minister*innen:
Dr. Martina Bunge als Ministerin für Gesundheit und Soziales, Prof. Dr. Wolfgang Methling als Umweltminister und Helmut Holter als Minister für Arbeit und Bau und stellvertretender Ministerpräsident übernahmen für uns Verantwortung und die Pionierrolle für die Partei. Alle nachfolgenden Regierungsbeteiligungen der PDS bzw. der Partei DIE LINKE, alle nachfolgenden Minister*innen und Senator*innen konnten sich auf die gesammelten Erfahrungen der ersten rot-roten-Koalition berufen.
Deshalb sage ich heute zum 25. Jahrestag der Bildung der ersten Rot/Roten- Koalition: Herzlichen Dank Martina, Wolfgang und Helmut für Euren Mut und Euer Engagement!
Peter Ritter