»Welche Wohnungspolitik? Es gibt faktisch keine!«

Aus dem BundestagHeidrun BluhmSteffen Bockhahn

Die Mieten in Deutschland steigen ungebremst, bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware. Im Interview der Woche der Linksfraktion im Bundestag erklären Heidrun Bluhm und Steffen Bockhahn Ursachen und soziale Folgen der Wohnungnot. Sie kritisieren die Regierung, die jahrelang Hinweise und Anträge der LINKEN ignorierte. In dieser Sitzungswoche fordert DIE LINKE deshalb per Antrag einen Neustart des sozialen Wohnungsbaus.

Heidrun Bluhm, wohnungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, und Steffen Bockhahn, direkt gewählt im Wahlkreis Rostock, über die Ursachen der Wohnungsnot in Deutschland und ihre sozialen Folgen, die Spekulation mit Wohnraum und die Forderung der Fraktion DIE LINKE nach einem Neustart des sozialen Wohnungbaus

Die Mieten steigen rasant, Wohnungen sind in den Metropolen, aber nicht nur dort, Mangelware. Was sind die Ursachen der gegenwärtigen Wohnungsnot?

Heidrun Bluhm: Vor allem sind bezahlbare Wohnungen Mangelware. Allein schon der Umstand, dass Wohnungen überhaupt Waren sind und das Grundbedürfnis Wohnen fast ausschließlich über den Markt befriedigt werden kann, ist die grundlegende Ursache für die aktuelle Wohnungsnot. Gebaut wird nur das, was ausreichend Gewinn abwirft. Es sind aber nicht allein die steigenden Mieten, die den Menschen zu schaffen machen, sondern die explodierenden Wohnkosten insgesamt also auch die Preise für Heizung, Strom, Wasser undsoweiter. Es gibt faktisch seit Jahren keine aktive Wohnungspolitik der Bundesregierung mehr. Sie ignoriert hartnäckig ihre Verantwortung für soziale Daseinsvorsorge. Man kann also sagen, das Problem ist hausgemacht.

Welche Rolle spielt dabei der Verkauf der Wohnungsbestände von Bund, Ländern und Kommunen in den vergangenen Jahren?

Steffen Bockhahn: Die zumeist durch die Finanznot der Kommunen erzwungene Privatisierung öffentlicher Wohnungen hat gravierende Folgen für die Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum. Privatisierte Wohnungen müssen Rendite bringen. Deswegen steigen die Mieten. Was sich nicht rentiert, wird heruntergewirtschaftet und dann vom Markt genommen. Die absichtliche Verknappung von Wohnraum treibt die Mietpreisspirale zusätzlich an. Ohne nennenswerte öffentliche Wohnungsbestände gibt es auf dem Wohnungsmarkt auch kein wirksames Korrektiv zur privaten Wohnungswirtschaft.

Sind das Folgen der Finanzkrise oder hat das eine nichts mit dem anderen zu tun?

Steffen Bockhahn: Die Finanzkrise ist dafür nicht ursächlich, aber sie verschärft das Problem dramatisch. Sie hat die Profitgier der Finanzinvestoren auf den Wohnungsmarkt getrieben und dort wird jetzt mit Wohnungen gezockt wie mit beliebigen anderen Finanzprodukten. Für Anleger zählen keine Mieterinteressen, sondern nur Rendite. Die Bundespolitik verhindert das nicht – sie fördert das skrupellos durch den Verkauf eigener Bestände an international agierende Finanzinvestoren.

Angesichts explodierender Mieten sah der Deutsche Mieterbund kürzlich den sozialen Frieden in Gefahr. Wie sehen Sie die Situation?

Heidrun Bluhm: Es gibt mittlerweile, wenn auch noch vereinzelt, öffentliche Proteste von Mieterinnen und Mietern gegen die ausufernde Mietpreistreiberei in den Metropolen und Universitätsstädten. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Die soziale Spaltung der Mieterschaft in Deutschland ist längst im Gange und hat in vielen Stadtgebieten Berlins, Münchens, Hamburgs oder anderswo zum kompletten Austausch der Wohnbevölkerung geführt.
Wohnen in der schicken City wird zum Statussymbol. Verdrängung und Neusortierung von Stadtquartieren nach der Zahlungsfähigkeit der Mieter und Wohnungssuchenden ist die Kehrseite der selben Medaille. Wohnen wird für immer mehr Menschen zu einer existenziellen Frage. Das sind keine Einzelschicksale mehr oder Randgruppenprobleme, sondern das ist zu einem Massenphänomen geworden und birgt gewaltigen sozialen Sprengstoff.

Welche sozialen Folgen hat die Wohnungsnot aus Ihrer Sicht?

Steffen Bockhahn: Für die einzelnen Mieterinnen und Mieter wird die Wohnungsnot dadurch spürbar, dass sie einen ständig wachsenden Teil ihres Einkommens für Wohn- und Mobilitätskosten aufwenden müssen und dadurch weniger Geld für andere Lebensnotwendigkeiten zur Verfügung haben. Immer mehr Menschen sind auf öffentliche Unterstützung angewiesen, um ihre Wohnkosten bestreiten zu können. Das ist nicht nur ein soziales, sondern auch ein moralisches Problem. Für die Kommunen bedeutet das finanziellen Mehraufwand und damit Streichung anderer sozialer Leistungen. Etwa für den Kitaausbau, Schulessen oder Kultur. Die sozialen Folgen gehen also weit über das unmittelbare Wohnen hinaus.

Inwiefern hat die Wohnungspolitik der vergangenen Dekade zur heutigen Situation beigetragen?

Heidrun Bluhm: Welche Wohnungspolitik? Es gibt faktisch keine! Die Bundesregierung hat sich jahrelang auf dem Selbstbetrug, die Wohnungsversorgung in Deutschland sei gut, ausgeruht und das Thema Wohnen komplett dem Markt oder bestenfalls den Ländern überlassen. Das hat zwangsläufig zu der Situation geführt, wie wir sie jetzt vorfinden. Nicht nur, dass nicht genügend bezahlbarer Wohnraum dort, wo er gebraucht wird, zur Verfügung steht, es fehlt auch massenhaft an demografie- und klimagerechten Wohnungen. Dabei war das seit Langem absehbar. Wir haben permanent darauf hingewiesen und entsprechende Anträge eingebracht. Alle wurden abgelehnt.

Was halten Sie von dem Ansinnen der Bundeskanzlerin, bei Neuvermietungen in Zukunft die Miete zu deckeln?

Heidrun Bluhm: Dieses Getöne ist blanker Populismus. Auch die Kanzlerin oder ihre Berater haben gemerkt, dass Wohnen und Mieten, brennende Fragen für viele Millionen Menschen und damit für eine breite Wählerschicht sind. Das kann man nicht einfach übergehen. Wenn der Kanzlerin auch nur irgend etwas an einer Mietbremse gelegen wäre, hätte sie dazu alle Zeit der Welt gehabt. Allein die vier Jahre andauernde Diskussion um das kürzlich verabschiedete Mietrechtsänderungsgesetz hätte genug Gelegenheit geboten, sich für Mieterinteressen einzusetzen. Sie hat das Gegenteil getan. Selbst die massive Kritik aus den Kommunen, von vielen Fachverbänden und auch vom Bundesrat hat sie bisher standhaft ignoriert. Die Auslassungen der FDP zum scheinbaren Sinneswandel der Kanzlerin dazu sind keine "massive Kritik", sondern ein Signal an die eigene Klientel in einem abgestimmten Wahlkampfszenario.

Die Fraktion DIE LINKE wirbt im Bundestag in dieser Woche für eine Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus. Wie soll das konkret aussehen?

Steffen Bockhahn: Zunächst wollen wir verhindern, dass die soziale Wohnraumförderung nach 2013 einfach ausläuft. Es gibt im Moment keine Anschlussregelung für die bisher vom Bund an die Länder geleisteten Kompensationszahlungen. Wir wollen mit unserem Antrag in dieser Woche erreichen, dass die Bundesmittel von bisher 518 Millionen Euro jährlich auf 700 Millionen aufgestockt und auf diesem Niveau verstetigt werden. Begleitet werden müssen diese Zahlungen von Bund-Länder-Vereinbarungen über den zweckgebundenen Einsatz der Mittel für den sozialen Wohnungsbau und die unbefristete Sozialbindung des geförderten Wohnraums. Darüber hinaus wollen wir die Aufstockung und eine stärkere sozial-ökologische Ausrichtung der Städtebauförderung.

Warum hat der Bund eigentlich den Ländern das Feld des sozialen Wohnungsbaus überlassen?

Heidrun Bluhm: Noch Ende der 1980er Jahre gab es cirka fünf Millionen Sozialwohnungen in Deutschland. Durch das Auslaufen der zeitlich befristeten Sozialbindung sind immer mehr dieser Wohnungen aus ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung herausgefallen und werden nun am freien Wohnungsmarkt angeboten. Zur Zeit gibt es noch rund 1,6 Millionen Sozialwohnungen. Der Bedarf daran ist aber nicht kleiner geworden, sondern angewachsen. Einschlägige Studien gehen von sieben bis zehn Millionen Mieterhaushalten mit Anspruch auf eine öffentlich geförderte Wohnung aus. Dem Bund war es nur Recht, dass die Länder im Zuge der Föderalismusreform den sozialen Wohnungsbau zu ihrer Sache gemacht haben. Seither hat er sich mehr und mehr aus seiner Gesamtverantwortung für das Grundbedürfnis Wohnen gestohlen und nur noch – und das unzureichend – finanzielle Zuwendungen an die Länder geleistet, ohne deren sachgerechte Verwendung sicherzustellen.

Inzwischen werden offenbar Objekte des sozialen Wohnungsbaus in Innenstädten zu Spekulationsobjekten. Lässt sich das überhaupt verhindern?

Steffen Bockhahn: Wenn das politisch gewollt wäre, ließe sich das selbstverständlich verhindern. Bund und Länder sind dazu mit ausreichender Gesetzgebungskompetenz ausgestattet. Aber der Bund erklärt ganz offen, dass die Wohnraumversorgung nicht seine Aufgabe sei und die private Wohnungswirtschaft bei entsprechenden Anreizen und weiteren Steuervergünstigungen die Probleme schon lösen werde. Ein fataler Trugschluss, wie sich zeigt. Leider unternehmen auch die Länder und Kommunen zu wenig, um der Spekulation mit Wohnraum zu begegnen. Oftmals waren oder sind sie wegen ihrer prekären Haushaltssituation gezwungen Wohnungsbestände zu verkaufen, die dann zu Spekulationsobjekten werden. Ohne eigene Wohnungsbestände haben aber Kommunen kaum Gestaltungsmöglichkeiten für eine soziale Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik.

Der soziale Wohnungsbau stand oft auch in der Kritik. Er erzeuge Ghettos, hieß es, es gab Fehlbelegungen durch Menschen, die längst besser verdienten und trotzdem dort wohnten. Und profitiert hätten vor allem Bauträger und Wohnungsbaugesellschaften. Gilt diese Kritik heute noch?

Heidrun Bluhm: Nicht der soziale Wohnungsbau als Ganzes, sondern seine Fehlleistungen und Nebenwirkungen standen zu Recht in der Kritik. Wir wollen den alten sozialen Wohnungsbau auch nicht einfach nur wiederbeleben, sondern ihn mit neuen Qualitätsmerkmalen ausstatten und in eine soziale Stadtentwicklung einbinden. Es geht heute nicht mehr um die massenhafte Produktion preiswerten Wohnraums, sondern um eine sozial ausgewogene, ökologische  Wohnumfeld- und Quartiersentwicklung. Öffentliche Fördermittel müssen dauerhaft sozial zweckgebunden und im wohnungswirtschaftlichen Kreislauf bleiben. Konsequenter Weise soll so mittelfristig ein gemeinnütziger, nicht vordergründig Gewinn orientierter Sektor in der Wohnungswirtschaft entstehen. Ein Thema, zu dem wir aktuell und parteiübergreifend Gespräche mit externen Fachleuten aufgenommen haben und eine wichtige Aufgabe für die 18. Wahlperiode.

linksfraktion.de, 4. Juni 2013


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