Was war. Was bleibt. Was werden kann - Bildung der ersten rot-roten Landesregierung vor 20 Jahren

Wenke BrüdgamPeter RitterTorsten KoplinAngelika GramkowDr. Martina BungeHelmut HolterProf. Dr. Wolfgang Methling

Am 3. November 1998, vor 20 Jahren, wurde mit den Unterschriften der jeweiligen Landes- und Fraktionsvorsitzenden von SPD und PDS in Mecklenburg-Vorpommern die Bildung der ersten rot-roten Regierung eines Landes in der Geschichte der Bundesrepublik besiegelt. Zuvor stimmten die beiden Koalitionspartner auf Parteitagen für das Regierungsbündnis. Die Delegierten der PDS machten mit 94,3 Prozent Zustimmung den Weg frei.

Das Geschehen im politischen Schwerin sorgte seinerzeit landauf landab für heftige Diskussionen. Acht Jahre nach dem Scheitern des ersten Versuchs einer nichtkapitalistischen Gesellschaft auf deutschem Boden sollten deren Protagonisten wieder in Regierungsverantwortung?

Mecklenburg-Vorpommern war in einer anderen Situation als heute. Mit 17 Prozent verzeichnete der Nordosten die bundesweit zweithöchste Arbeitslosigkeit. Rot-Rot übernahm einen hoch verschuldeten öffentlichen Haushalt und musste mit einer unter der Kohl-Bundesregierung erlahmten Konjunktur fertigwerden.

Die neue Landesregierung stand unter einem enormen Druck, denn einerseits begegnete man ihr mit Skepsis, anderseits forderten die Unterstützer schnelle und spürbare Erfolge. Bundesweit blickten Medien, Wirtschaft und Wissenschaft auf Mecklenburg-Vorpommern.

Beide Parteien und Fraktionen wollten beweisen, dass das Bündnis funktioniert. Der PDS lag daran, die eigenen Wahlversprechen zu halten und denen, die da behaupteten, die PDS wäre nicht regierungsfähig, das Gegenteil zu beweisen. Politikerinnen und Politiker der PDS, die das Tag für Tag unter Beweis stellten waren u.a. Dr. Martina Bunge, Prof. Dr. Wolfgang Methling, Angelika Gramkow, Helmut Holter und auch Peter Ritter.

Die Basis der PDS stand der Koalition zur Halbjahresbilanz aufgeschlossener gegenüber als Skeptiker dies gerne verbreiteten. Eine Fragebogenaktion in den Kreisverbänden zeigte eine hohe Zustimmung. Nicht einmal zwei Prozent der Mitglieder betrachteten die Koalition als „eher negativ“, knapp eine Viertel war „skeptisch“, drei Viertel jedoch urteilten über rot-rot „eher positiv“.

Auch die SPD stand unter enormen Druck, galt es doch, den Skeptikern in den eigenen Reihen, und derer gab es viele, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Sozialdemokraten zudem schien ständig unter Beweis stellen zu wollen, wer Koch und wer Kellner im Bündnis ist. Ein Handeln auf Augenhöhe hätte beiden Partner und auch dem Landtag selbst besser getan. Natürlich sind auch in einer Koalition unterschiedliche Meinungen üblich. Dies ist bis heute so. Manche inhaltlichen Brüche hätten rückblickend sogar noch stärkere Konsequenzen haben müssen: SPD-Regierungschef Ringstorff hatte entgegen der Vereinbarung im rot-roten Kabinett und “seinem Bundeskanzler Schröder" gehorchend, dessen Rentengesetzen im Bundesrat zugestimmt. Ein Handeln, das die PDS nicht hätte hinnehmen dürfen.

Die Historie des Bündnisses aus SPD und PDS ist bekannt. Es hielt zwei Legislaturperioden, insgesamt acht Jahre. Eine weitere Legislaturperiode wäre möglich gewesen, jedoch war dem Seniorpartner eine Einstimmenmehrheit zu riskant.

Was für die Landespolitik bleibt, kann sich durchaus sehen lassen:

Der Umweltschutz, insbesondere die besonders geschützten Flora-Fauna-Habitat Gebiete sind fest verankert. Mecklenburg-Vorpommern ist auch wegen seiner gesunden Natur das Tourismusland Nummer 1 in Deutschland. Unter SPD und PDS wurde nach Jahren bloßer Inobhutnahme und lediglicher Betreuung von Kleinst- und Kleinkindern eine frühkindliche Erziehung und Bildung in Kindertagesstätten und der Tagespflege. In der Arbeitsmarktpolitik wurde gemeinwohlorientierte Arbeit gezielt gefördert. Durch sie fanden tausende Menschen im Land wieder beruflichen Halt und Neuanfang. Heute spricht man diesbezüglich von sozialem Arbeitsmarkt. Durch das PDS-geführte Arbeitsministerium wurde zudem ein Existenzgründerprogramm auf dem Weg gebracht, das sich auch Jahre später immer noch bewährte.

Die rot-rote Landesregierung bewältige die seit 2001 von der Bundeswehr angestoßenen Strukturreformen mit einem deutschlandweit einzigartigen Konversionsprozess. Kasernen und militärisch genutzte Flächen wurden einem zivilen Nutzen zugeführt. Unbestritten ist das Verdienst der SPD/PDS- Regierung bei der Konsolidierung eines vor allem unter CDU und FDP völlig aus dem Ruder gelaufenen Landeshaushalts. Dass Mecklenburg-Vorpommern seit nunmehr 12 Jahren keine Neuverschuldung mehr verzeichnet, ist auf die Politik von SPD und PDS zurück zu führen.

Auch bescheinigte man der Regierung von SPD und PDS einen neuen Politikstil. Dieser, so eine Veröffentlichung des Brandenburg-Berliner Instituts für Sozialwissenschaftliche Studien sei „merklich kommunikativer geworden“. Zudem gebe es seit langer Zeit wieder „eine kooperative und sachorientierte, beiderseits kompromissbereite, aber nicht konfliktfreie Zusammenarbeit“ innerhalb der Regierung und den Koalitionsfraktionen. Dieser Politikstil zahlte sich aus. Noch keine Landesregierung erfreute sich bei der Bevölkerung einer so hohen Beliebtheit. In Umfragen erreichte Ministerpräsident Ringstorff die Bestnote mit +1,8.

Zur Bilanz gehören viele wichtige Erfahrungen. Zum Beispiel, dass die Beteiligung einer sozialistischen Partei an einer Landesregierung nur Sinn macht, wenn dazu beigetragen wird, soziale Kräfte gegen Marktradikalismus, Sozialabbau, Militarisierung und neofaschistischen Einfluss aktiviert und gebündelt werden. Und auch, dass die Durchsetzung von Interessen der Mehrheit der Bevölkerung in der Politik bürgerlicher Regierungen immer außerparlamentarischen Druck benötigt.

Zur Themenseite