Gefährliche kriegerische Realität in Syrien - USA und NATO-Verbündete verfransen sich im nahen Osten, anstatt mit Russland gemeinsam einen Friedensplan zu entwickeln

Daniel Trepsdorf

Die per Twitter von US-Präsident martialisch angekündigten und dann "minimalinversiv" durchgeführten Raketenangriffe auf syrische Giftgasfabriken und militärische Einrichtungen demonstrieren nicht die Stärke des Westens, sondern seine eklatante Schwäche: Die NATO hat sich taktisch in Syrien verrannt. Diese Tatsache stellt geostrategisch eine der brenzligsten Lagen des Bündnisses seit den gewaltsamen Interventionen im Irak und in Afghanistan dar.

Zudem kann man sich der Tatsache nicht erwehren, dass jegliches gewaltsames intervenieren ohne UN-Mandat gegen geltendes Völkerrecht verstößt. Und an dieser Stelle offenbaren alle beteiligten Nationen eine kritische Flanke, die Kombattanten nach Syrien entsenden. - Im Norden verfolgt der türkische Präsident Erdogan eigene Ziele zur Verhinderung kurdischer Autonomiebestrebungen. Russland sorgt sich um seine einzigen Marinestützpunkt außerhalb der postsowjetischen Region. Wir müssen konstatieren: Auch wenn Wladimir Putin noch nicht direkt mit Waffengewalt auf die jüngste Attacke des nordatlantischen Bündnisses mit Tomahawk-Marschflugkörpern in Syrien gekontert hat, verfolgt dieser auch lediglich globalpolitische Ziele im Ringen um die Wiederherstellung der Weltmachtgeltung Moskaus.

Im Land kämpfen diverse, selbst unter Fachexperten kaum noch in ihren Zielen voneinander klar zu differenzierende Rebellengruppen, religiöse Fanatiker, Warlords und Separatisten gegen Bashar Hafez al-Assad als auch gegeneinander. Die Zivilbevölkerung im Umfeld von Idlib, Duma sowie in der Region Ost-Ghuta leidet seit nunmehr sieben Jahren - schätzungsweise mehr als eine halbe Millionen Opfer gibt es zu beklagen. - Ein zentrales Dilemma des Westens: Er hat es verpasst, gemeinsam und auf Augenhöhe mit Russland und den anderen BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) die UNO und vor allem die statische Architektur des UNO-Sicherheitsrates umzubauen und an die heterogenen Konfliktlagen in einer ökonomisch hoch vernetzten Welt des 21. Jahrhundert anzupassen. Die alte Rhetorik aus dem Kalten Krieg verfängt nicht mehr, die Instrumente der "Rules of Engagement" sind stumpf geworden und - last but not least - der EU fehlt es nach wie vor an einer koordinierten und effektiven gemeinsamen Außenpolitik. Die EU mit ihren 28 Mitgliedstaaten und ihrer Einwohnerzahl von ca. 512 Mio. wirkt unfreiwillig wie ein hysterisch auf und ab laufender, aber die humanitäre Katastrophe in Syrien leider lediglich beobachtender Zaungast, der von den Big Playern nicht ernstgenommen wird. DIE LINKE fordert seit Jahren, dass gemeinsam mit allen involvierten Regierungen eine Lösung gefunden werden muss, die es ermöglicht, dass alle Staaten ihr außenpolitisches Gesicht zu wahren vermögen.

Wessen die syrische Bevölkerung am meisten bedarf ist die Ablösung der herrschenden Kriegslogik durch eine konsequente Friedenslogik im Diskurs der widerstreitenden Mächte. Hier könnte die EU vermittelnd respektive moderierend im Sinne einer deeskalierend wirkenden "Third-Party-Intervention" auftreten. Folgende Maßnahmen würden hier zum "Game-Changer" avancieren: Statt auf Eskalation, Bedrohung und auf Abwehr zu setzen, müssen die Großmächte die Faktoren Gewaltminderung und -vorbeugung präferieren. Nicht Distanzierung und das Drehen an der Gewaltspirale ist gefragt, sondern die Minderung von militärischer Gewalt; stattdessen gilt Dialogorientierung und vor allem die Transformation sowie die Verhandlung und der Ausgleich der dem Konflikt zugrunde liegenden Interessen der beteiligten Staaten. Die Legitimität der handelnden Akteure würde fernerhin rechtlich - flankiert durch UN-Maßnahmen - durch die notwendige unilaterale Normierung durch das Völkerrecht, nicht aber weiterhin durch partikularrechtliche Begründungszusammenhänge abgelöst werden. Die derzeit in Syrien herrschende Kontinuität kriegerischer Eskalation würde durch friedensförderliche Reflexivität ersetzt. In der Folge könnten zivile und humanitäre Einsätze Elend und Leid der Bevölkerung mindern und einen tragfähigen Friedensprozess einleiten. Ansonsten wird sich dieser unsägliche Krieg noch auf unabsehbare Zeit hinziehen und auch die Flüchtlingslager in der Region werden stetigen Zuwachs erhalten. Der Westen täte gut daran, sich die Worte der  amerikanischen Journalistin und Satirikerin  A.-G. Bierce ins Bewusstsein zu rufen: "Diplomatie sollte nicht in der Kunst des Patrioten bestehen, für das Vaterland zu lügen, sondern in der Anstrengung des Demokraten, eine Friedenslösung zu entwickeln. Dafür steht im Übrigen die Position linker Außen- und Sicherheitspolitik.