Game Over, Herr Seehofer!

Christian Albrecht

Nachdem es um unseren Heimat- und Innenminister in den letzten Wochen und Monaten etwas stiller geworden war und vor allem sein christsozialer Ministerkollege Scheuer mit seiner gescheiterten „Ausländermaut“ im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand, hat Horst Seehofer einen großen Schluck aus dem Füllhorn des Populismus genommen und sich mit seinen unqualifizierten Äußerungen zur geplanten Überwachung der Gamer-Szene wieder bequem auf Platz eins der ministerialen Fehlbesetzungen etabliert.

Ganz nebenbei unterstreicht er abermals, dass die Unionsparteien nichts aus Rezo gelernt haben und ihnen die jungen Menschen mit ihren bunten Haaren, ihrer Beat-Musik und ihren komischen Hobbies wie dem Zocken nicht nur suspekt, sondern offenbar auch als potentielle Wählerschicht nicht interessant genug sind.

Nach dem schrecklichen Anschlag auf eine Synagoge in Halle, der uns abermals schmerzhaft vor Augen führt, wie enthemmt und wie selbstbewusst rechtsextreme Mörder mittlerweile agieren, fällt dem Innenminister Seehofer nichts besseres ein als eine Strohmanndebatte aufzumachen und die Überwachung der Gamer-Szene zu fordern. Wie kommt er darauf?

Der Zusammenhang zwischen Rechtsextremen und Gamern ist ein dünner und entsprechend schnell erklärt: wie schon bei dem Anschlag in Christchurch nutzte auch der Attentäter von Halle mit dem Streamingportal twitch eine hauptsachlich von Gamern genutzte Plattform um seine Tat live zu übertragen. Dass so etwas möglich ist, ist natürlich problematisch. Aber das ist ein Problem solcher unmoderierten Plattformen (von denen es auch noch reichlich andere außerhalb des Gaming-Kontextes gibt), nicht eines ihrer Nutzer. Überwacht man jetzt bestimmte Plattformen, weichen die Rechtsextremen ganz einfach auf andere aus. Unkontrollierte Nischen gibt es im Internet zuhauf. Schon alleine deshalb ist Seehofers Vorschlag viel zu kurz gegriffen und nicht mehr als billiger Populismus und Aktionismus.

Seehofer suggeriert mit seinem Vorstoß, dass innerhalb der Gamer-Szene, die es als solche übrigens gar nicht gibt, da sie viel zu groß und zu heterogen ist, eine Radikalisierung stattfindet. Hier knüpft er nahtlos an die Killerspieldebatte der frühen 2000er an, die ebenso versuchte nach Amokläufen, wie etwa in Erfurt, das Versagen der Gesellschaft auf dieses neue Medium abzuwälzen. Konnte man damals noch irgendwie verstehen, dass diese Debatte völlig unsachlich und hysterisch geführt wurde, hat Seehofer diesen Bonus 20 Jahre später nicht mehr. Mittlerweile sind die Gamer von damals selber Eltern. Laut statista.com spielen in Deutschland mittlerweile etwa 34 Millionen Menschen regelmäßig Videospiele, also mehr als jeder Dritte. Das Gaming ist voll im Mainstream angekommen, entsprechend hat sich die Debatte auch versachlicht. Nicht zuletzt auch deshalb, weil dutzende Studien in den letzten 20 Jahren alle möglichen negativen Effekte auf die Psyche von Heranwachsenden untersucht haben. Das eindeutige Ergebnis: einen Zusammenhang zwischen Gewaltaffinität oder radikalen Einstellungen und Gaming besteht nicht. Lediglich ein gewisses Suchtpotential, dass zu einer Vernachlässigung von Schule und sozialen Kontakten führen kann, konnte für bestimmte Genres bzw. Spielkonzepte belegt werden.

Insofern verwundert es, dass jetzt abermals der Gamer zum Sündenbock erklärt werden soll. Wobei Trump dies erst kürzlich im Zuge der nicht enden wollenden Mass Shootings an US-amerikanischen Schulen auch getan hat. Da hat sich Seehofer wohl vom Chef-Populisten inspirieren lassen. Aber so, wie man in Amerika genau weiß, dass man eigentlich die viel zu liberalen Waffengesetze ändern müsste (was man nicht will), wissen wir auch hier, wo wir eigentlich ansetzen könnten, anstatt Sündenbücke zu suchen: Horst Seehofer und seine CDU-Innenministerkollegen könnten aufhören rechtsextreme Übergriffe zu verharmlosen und dieses Problem endlich ernst nehmen. Sie könnten etwa Rechtsrock-Konzerte, bei denen sich die Führungskader der Szene die Klinke in die Hand geben, verbieten. Man könnte das gescheiterte V-Mann-System abschaffen. Man könnte die Verstrickungen von Rechtsextremen und Sicherheitsbehörden, wie etwa bei uns im M-V mit dem Nordkreuz konsequent aufdecken. Man könnte aufhören der AfD ständig eine Plattform zu bieten, die sie nutzt um den gesellschaftlichen Diskurs immer weiter nach rechts zu verschieben. Man könnte stattdessen versuchen die Zivilgesellschaft zu stärken, indem man etwa mehr Mittel für politische Bildung oder die Jugendarbeit in soziokulturellen Zentren und bei anderen Trägern investiert, anstatt ihnen, wie gerade erst geschehen, die Mittel zu kürzen. Das alles und noch viel mehr könnte man tun und alles davon wäre sinnvoller, als Seehofers Vorschlag die Gamer zu überwachen. Aber das würde bedeuten, dass man sich mit den Rechtspopulisten und ihrem Wählerpotential wirklich anlegen müsste. Und das will man offensichtlich nach wie vor nicht.