Paragraf 219a abschaffen - eine schwierige Entscheidung?

Wenke Brüdgam
Gleichstellung

Liest man den Paragrafen 219a stellt man fest, dass der Wortlaut eigentlich unstrittig ist. Niemand möchte „Werbung“ im klassischen Sinne für Schwangerschaftsabbrüche. Werbung hieße die Beeinflussung von verhaltensrelevanten Einstellungen, aber darum geht es doch gar nicht. Es geht darum, Frauen zu informieren, sie in ihrer Selbstbestimmung zu unterstützen und ihnen damit wirkliche freie Entscheidungen zu ermöglichen.

Keine Frau macht sich einen Schwangerschaftsabbruch leicht. Sich dafür zu entscheiden, hat häufig eine Vielzahl von Gründen, aber selbst, wenn es nur einer ist, nämlich der Wunsch, nicht Mutter zu werden, gehört es in eine aufgeklärte Gesellschaft, diesen Wunsch zu akzeptieren. Wenn aber Ärztinnen und Ärzte oder Hebammen die Frauen zu diesem Thema nicht informieren können, weil sie fürchten müssen, sich nach Paragraf 219 a StGB strafbar zu machen, gerät die Akzeptanz der freiheitlichen Entscheidung von Frauen ins Wanken; dann stehen sie viel zu schnell ganz allein da. Von wem aber können wir eine objektive Beratung erwarten, wenn nicht von diesen Berufsgruppen? Glaubt die große Koalition tatsächlich, dass sie in der Lage ist, sowohl die Situation der Frauen als auch der Ärztinnen, Ärzte und Hebammen besser einschätzen zu können, als diese Gruppen selbst? Wie überheblich und abgehoben kann Politik eigentlich sein?

Auslöser der öffentlichen Debatte war der Fall einer Ärztin, die auf ihrer Internetseite eine pdf-Datei veröffentlichte, in welcher sich allgemeine Informationen zum Schwangerschaftsabbruch sowie zur Durchführung und zu den Methoden der Praxis befanden - ein Skandal im Deutschland des 21. Jahrhunderts. Merkt man auch hier, dass die Digitalisierung „Neuland“ ist? Menschen informieren sich zunehmend auch über Gesundheitsthemen im Internet. Laut Ärzteblatt aus dem Januar 2018 sucht fast die Hälfte der Menschen nach Informationen im Internet. Da sollte man doch froh sein, wenn fachkundige Ärzte objektive Informationen zur Verfügung stellen? Fehlanzeige in Deutschland! Es wird Zeit zu akzeptieren, dass diese Gesellschaft aus mündigen Frauen besteht. Nicht der Staat hat zu entscheiden, welche Informationen ich bekommen kann und welche nicht. Ich bin mir sicher, es wird kein Kind mehr oder weniger abgetrieben, wenn wir die Chance bekommen, uns selbstständig, vielleicht in einer ruhigen Stunde und allein, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Aber es wird mehr Frauen geben, die sich im Klaren darüber sind, was auf sie zukommt.

Und eins noch: Nichts ist schlimmer, als eine überemotionalisierte Debatte, in der wir Frauen in eine Schmuddelecke stellen. Mir sind lebendige Kinder auch lieber als tote, aber darum geht es nicht. Wann und wie ein Schwangerschaftsabbruch zulässig ist, ist klar geregelt. Wir wollen nur den freien Zugang zu Informationen und die Möglichkeit zu informieren, stärken. Wenn tote Kinder als Argument ins Feld geführt werden, trauen wir uns den Blick in den Jemen zu werfen, nach Syrien und Afghanistan - dort und anderswo sterben Kinder täglich.

Und, um dann auch mit konkreten Forderungen zu enden: Liebe Bundesregierung, die Hauptlast der Schwangerschaftsverhütung liegt bei Frauen, sie stopfen ihre Körper oft über viele Jahrzehnte mit Hormonen voll, deren Langzeitwirkung kaum beachtet wird. Aufklärungsunterricht in der Schule dient noch immer vor allem der Belustigung. Klären wir junge Menschen auf, zeigen wir Verhütungsmethoden auf, machen wir die Pille, wenn sie denn schon sein muss, bezahlbar! Kondome sollten kostenfrei abgegeben werden! Versuchen wir also zu verhindern, dass ungewollte Schwangerschaften entstehen, bevor wir uns darüber aufregen, dass Frauen sich dann darüber informieren wollen, wie sie damit umgehen können.

Wenke Brüdgam
Landesvorsitzende