Zur Bildung der ersten rot-roten Landesregierung vor 20 Jahren

Vor zwanzig Jahren wurde Geschichte geschrieben. Der Koalitionsvertrag der bundesweit ersten rot-roten Regierung wurde in Schwerin unterzeichnet. Wir blicken zurück und zeigen, was war, was bleibt und was noch werden kann.

Am 3. November 1998, vor 20 Jahren, wurde mit den Unterschriften der jeweiligen Landes- und Fraktionsvorsitzenden von SPD und PDS in Mecklenburg-Vorpommern die Bildung der ersten rot-roten Regierung eines Landes in der Geschichte der Bundesrepublik besiegelt. Zuvor stimmten die beiden Koalitionspartner auf Parteitagen für das Regierungsbündnis. Die Delegierten der PDS machten mit 94,3 Prozent Zustimmung den Weg frei.

Das Geschehen im politischen Schwerin sorgte seinerzeit landauf landab für heftige Diskussionen. Acht Jahre nach dem Scheitern des ersten Versuchs einer nichtkapitalistischen Gesellschaft auf deutschem Boden sollten deren Protagonisten wieder in Regierungsverantwortung?

Mecklenburg-Vorpommern war in einer anderen Situation als heute. Mit 17 Prozent verzeichnete der Nordosten die bundesweit zweithöchste Arbeitslosigkeit. Rot-Rot übernahm einen hoch verschuldeten öffentlichen Haushalt und musste mit einer unter der Kohl-Bundesregierung erlahmten Konjunktur fertigwerden.

 Die neue Landesregierung stand unter einem enormen Druck, denn einerseits begegnete man ihr mit Skepsis, anderseits forderten die Unterstützer schnelle und spürbare Erfolge. Bundesweit blickten Medien, Wirtschaft und Wissenschaft auf Mecklenburg-Vorpommern.

Beide Parteien und Fraktionen wollten beweisen, dass das Bündnis funktioniert. Der PDS lag daran, die eigenen Wahlversprechen zu halten und denen, die da behaupteten, die PDS wäre nicht regierungsfähig, das Gegenteil zu beweisen. Politikerinnen und Politiker der PDS, die das Tag für Tag unter Beweis stellten waren u.a. Dr. Martina Bunge, Prof. Dr. Wolfgang Methling, Angelika Gramkow, Helmut Holter und auch Peter Ritter.

Die Basis der PDS stand der Koalition zur Halbjahresbilanz aufgeschlossener gegenüber als Skeptiker dies gerne verbreiteten. Eine Fragebogenaktion in den Kreisverbänden zeigte eine hohe Zustimmung. Nicht einmal zwei Prozent der Mitglieder betrachteten die Koalition als „eher negativ“, knapp eine Viertel war „skeptisch“, drei Viertel jedoch urteilten über rot-rot „eher positiv“.

Auch die SPD stand unter enormen Druck, galt es doch, den Skeptikern in den eigenen Reihen, und derer gab es viele, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Sozialdemokraten zudem schien ständig unter Beweis stellen zu wollen, wer Koch und wer Kellner im Bündnis ist. Ein Handeln auf Augenhöhe hätte beiden Partner und auch dem Landtag selbst besser getan. Natürlich sind auch in einer Koalition unterschiedliche Meinungen üblich. Dies ist bis heute so. Manche inhaltlichen Brüche hätten rückblickend sogar noch stärkere Konsequenzen haben müssen: SPD-Regierungschef Ringstorff hatte entgegen der Vereinbarung im rot-roten Kabinett und “seinem Bundeskanzler Schröder" gehorchend, dessen Rentengesetzen im Bundesrat zugestimmt. Ein Handeln, das die PDS nicht hätte hinnehmen dürfen.

Die Historie des Bündnisses aus SPD und PDS ist bekannt. Es hielt zwei Legislaturperioden, insgesamt acht Jahre. Eine weitere Legislaturperiode wäre möglich gewesen, jedoch war dem Seniorpartner eine Einstimmenmehrheit zu riskant.

Was für die Landespolitik bleibt, kann sich durchaus sehen lassen:

Der Umweltschutz, insbesondere die besonders geschützten Flora-Fauna-Habitat Gebiete sind fest verankert. Mecklenburg-Vorpommern ist auch wegen seiner gesunden Natur das Tourismusland Nummer 1 in Deutschland. Unter SPD und PDS wurde nach Jahren bloßer Inobhutnahme und lediglicher Betreuung von Kleinst- und Kleinkindern eine frühkindliche Erziehung und Bildung in Kindertagesstätten und der Tagespflege. In der Arbeitsmarktpolitik wurde gemeinwohlorientierte Arbeit gezielt gefördert. Durch sie fanden tausende Menschen im Land wieder beruflichen Halt und Neuanfang. Heute spricht man diesbezüglich von sozialem Arbeitsmarkt. Durch das PDS-geführte Arbeitsministerium wurde zudem ein Existenzgründerprogramm auf dem Weg gebracht, das sich auch Jahre später immer noch bewährte.

Die rot-rote Landesregierung bewältige die seit 2001 von der Bundeswehr angestoßenen Strukturreformen mit einem deutschlandweit einzigartigen Konversionsprozess. Kasernen und militärisch genutzte Flächen wurden einem zivilen Nutzen zugeführt. Unbestritten ist das Verdienst der SPD/PDS- Regierung bei der Konsolidierung eines vor allem unter CDU und FDP völlig aus dem Ruder gelaufenen Landeshaushalts. Dass Mecklenburg-Vorpommern seit nunmehr 12 Jahren keine Neuverschuldung mehr verzeichnet, ist auf die Politik von SPD und PDS zurück zu führen.

Auch bescheinigte man der Regierung von SPD und PDS einen neuen Politikstil. Dieser, so eine Veröffentlichung des Brandenburg-Berliner Instituts für Sozialwissenschaftliche Studien sei „merklich kommunikativer geworden“. Zudem gebe es seit langer Zeit wieder „eine kooperative und sachorientierte, beiderseits kompromissbereite, aber nicht konfliktfreie Zusammenarbeit“ innerhalb der Regierung und den Koalitionsfraktionen. Dieser Politikstil zahlte sich aus. Noch keine Landesregierung erfreute sich bei der Bevölkerung einer so hohen Beliebtheit. In Umfragen erreichte Ministerpräsident Ringstorff die Bestnote mit +1,8.

Zur Bilanz gehören viele wichtige Erfahrungen. Zum Beispiel, dass die Beteiligung einer sozialistischen Partei an einer Landesregierung nur Sinn macht, wenn dazu beigetragen wird, soziale Kräfte gegen Marktradikalismus, Sozialabbau, Militarisierung und neofaschistischen Einfluss aktiviert und gebündelt werden. Und auch, dass die Durchsetzung von Interessen der Mehrheit der Bevölkerung in der Politik bürgerlicher Regierungen immer außerparlamentarischen Druck benötigt.

Bei der Landtagswahl 1998 wurde die SPD mit 34,3% stärkste Kraft. Die CDU erreichte 30%. Mit 24,4% konnte die PDS ihr bis dahin und bis heute bestes Wahlergebnis erreichten. Die politische Landschaft war in Bewegung - nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern. Im Ergebnis der zeitgleich stattgefundenen Bundestagswahl wurde die erste Koalition zwischen SPD und Bündnis´90/Die Grünen gebildet. Gerhard Schröder wurde Bundeskanzler. Auch in Mecklenburg-Vorpommern gab es ein Wechselstimmung. Doch nicht nur zahlreiche politischen Schnittmengen zwischen SPD und PDS boten die Chance für einen politischen Neuanfang. Auch das tiefe Zerwürfnis zwischen SPD und CDU bestimmte die politische Agenda. So oder so: Für die PDS und ihre Landtagsabgeordneten begann eine spannende Zeit. Keiner von uns hatte Erfahrungen im Führen von Koalitionsverhandlungen. Dennoch stürzten wir uns voller Energie und Euphorie in die Arbeit. Argwöhnisch begleitet von der interessierten politischen Öffentlichkeit, aber auch und vor allem von der eigenen Partei. Der Euphorie folgte bald Ernüchterung. Dennoch trug der ausgehandelte Koalitionsvertrag auch die Handschrift der PDS - rückblickend zu wenig. Damals ein Schritt in Richtung Politikwechsel, hin zu politischer Normalität.
Der Landesparteitag stimmte mit großer Mehrheit dem Koalitionsvertrag zu. Auch die Landtagsfraktion. Ich gehörte zu den wenigen, die sich der Stimme enthielten, da ich befürchtete, dass die PDS in der Koalition zu wenig durchsetzen und bewegen könne. Dennoch ging es mit voller Kraft an die Arbeit.
Am 3. November 1998 nahm die erste rot-rote-Landesregierung in der Bundesrepublik ihre Arbeit auf. Harald Ringstorff wurde Ministerpräsident. Ein Landesvater im wahrsten Sinne des Wortes. Gern erinnere ich mich an die konstruktive und offene Zusammenarbeit, die ich mit ihm während der 2. rot-roten-Koalition als Landesvorsitzender unserer Partei gestalten durfte.
Im ersten rot-roten-Kabinett stellte die PDS drei Minister*innen:
Dr. Martina Bunge als Ministerin für Gesundheit und Soziales, Prof. Dr. Wolfgang Methling als Umweltminister und Helmut Holter als Minister für Arbeit und Bau und stellvertretender Ministerpräsident übernahmen für uns Verantwortung und die Pionierrolle für die Partei. Alle nachfolgenden Regierungsbeteiligungen der PDS bzw. der Partei DIE LINKE, alle nachfolgenden Minister*innen und Senator*innen konnten sich auf die gesammelten Erfahrungen der ersten rot-roten-Koalition berufen.
Deshalb sage ich heute zum 20. Jahrestag der Bildung der ersten Rot/Roten- Koalition: Herzlichen Dank Martina, Wolfgang und Helmut für Euren Mut und Euer Engagement!

Peter Ritter

Nach anfänglichem Zögern und Zureden von Helmut Holter und Gregor Gysi war ich bereit, als Umweltminister Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die sechs Abteilungsleiter (fünf waren Mitglieder der CDU) empfingen mich am Abend des 3. November sehr reserviert im neu strukturierten Umweltministerium. Trotzdem gelang es auf der Basis der ausgehandelten Koalitionsvereinbarung gemeinsam mit den größtenteils motivierten Mitarbeitern eine neue fortschrittliche Umweltpolitik in M-V zu entwickeln und zu gestalten. Das betraf vor allem eine recyclingorientierte Abfallwirtschaft (weg von der bisher geplanten konventionellen Müllverbrennung in einer zentralen Anlage, hin zur dezentralen mechanisch-biologischen Vorbehandlung und Gewinnung von wertvollen Rohstoffen). Wir setzten gegen großen Widerstand eine anspruchsvolle Meldung von FFH- und Vogelschutzgebieten an die EU durch. Das galt auch für die ambitionierte Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie zum Schutz der natürlichen Gewässer. Eine zentrale Rolle in meiner Umweltpolitik spielte die Entwicklung einer wissenschaftlich fundierten, komplexen, ressortübergreifenden Nachhaltigkeitsstrategie (Agenda 21) und deren Umsetzung in Vereinbarungen zwischen der Umweltverwaltung und der Wirtschaft, Landwirtschaft, Naturschutz- und Sportverbänden. Besondere Akzente haben wir für den Klimaschutz durch das Moorschutzprogramm und die Förderung erneuerbarer Energien sowie in der Umweltbildung gesetzt.

Die Umweltpolitik in M-V setzte deutschlandweit neue Maßstäbe. Das fand allgemein große Anerkennung. Natürlich konnten wir nicht alles erreichen, was wir wollten. Aber wir gingen immer in die richtige Richtung, wenn die Schritte manchmal auch klein waren, weil der Koalitionspartner Widerstand leistete.

Ich habe immer gesagt: Regierungsbeteiligung eröffnet Chancen für Veränderungen der Gesellschaft, ist aber auch mit Risiken, mit negativen und positiven Nebenwirkungen verbunden. Unsere Bilanz in der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik war bis auf wenige Ausnahmen sehr gut. Leider fand das innerhalb der Partei und bei den folgenden Wahlen nur eine geringe Wertschätzung. Zu groß war wohl die Enttäuschung, dass wir auf anderen Gebieten (Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Löhne, Sozialpolitik, längeres gemeinsames Lernen u.a.) trotz großer Anstrengungen der Fraktion und der Minister*innen keine großen Fortschritte erzielen könnten. Wahrscheinlich waren unsere eigenen Hoffnungen und Erwartungen für mögliche Erfolge auf landespolitischer Ebene zu groß.

Wolfgang Methling
ehem. Umweltminister